White Paper: Robotik in der Logistik
Roboter als Game Changer in der Logistik – Eine Bestandaufnahme
„Heute ist die Utopie vom Vormittag die Wirklichkeit vom Nachmittag.“, so fasste der amerikanische Schriftsteller Truman Capote die Innovationsdynamik der Gegenwart zusammen. In der Tat: Noch nie zuvor wurden technologische Durchbrüche mit solcher Geschwindigkeit in praxistaugliche produktivitätssteigernde Lösungen umgesetzt wie heute – sowohl für den privaten Gebrauch als auch für den Einsatz in der Wirtschaft. Das lässt vermuten, dass auch in der Logistik der Mensch in nicht ferner Zukunft ganz selbstverständlich mit Robotern zusammenarbeiten wird.
Teil 1: Die Logistik als Herausforderung für die Robotik
In allen Industriezweigen haben Innovationen Prozesse beschleunigt, Kosten gesenkt und zu völlig neuen Verfahren und Produkten geführt. Auch die Logistikindustrie ist hier keine Ausnahme. Sprachsteuerung, Barcode-Technologie und RFID sind Beispiele für innovative Technologien, die in der Logistik in den letzten Jahren neue Qualitätsstandards und Geschäftsmodelle möglich gemacht haben. Noch nicht annähernd ausgeschöpft sind zudem die Möglichkeiten, die mobile Anwendungen (Smart Mobile Apps) für die Optimierung der Logistikprozesse bieten. „Die Option, mittels modernster Smartphones Abläufe nicht nur zu optimieren, sondern auch flächendeckend mobil zu machen, ist für die Logistikindustrie ein Quantensprung, dem sich auf Dauer niemand entziehen kann, der im Wettbewerb bestehen will.“, so Philipp Weirauch, CEO von CheckMobile, einem Anbieter von Lösungen und Services im Bereich mobiler Prozesssteuerungstechnologien. „Nur der Einsatz von Künstlicher Intelligenz wird die Branche vergleichbar stark verändern. Die intelligente Kombination von Informations- und Kommunikationstechnologie mit Robotik ist die einzig plausible Antwort auf die heutigen und zukünftigen Herausforderungen an die Logistik.“ Im Gegensatz zu den Handhelds sind Roboter in den Logistikunternehmen noch die Ausnahme, wenn man von einigen Weltkonzernen absieht. Dabei scheint gerade die Logistik ein Industriezweig zu sein, der ganz besonders von der Robotik profitieren kann: Organisationsaufgaben wie das Kommissionieren von Waren, Belade-, Transport- und Entladeprozesse sowie Services wie Zahlungs- und Retourenmanagement enthalten zahllose Abläufe, die sich mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz automatisieren lassen.
Logistikspezifische Anforderungen an Roboter
Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Während in der industriellen Produktion der Roboter schon seit vielen Jahren Standardprozesse schnell und sicher ausführt, so dass etwa im Automobilbau kaum übertrieben davon gesprochen werden kann, dass die gesamte Produktionshalle von der Materialbelieferung bis zur Endabnahme einen einzigen Roboter darstellt, gibt es im Bereich der Logistik eine große Zahl von Prozessen, die nicht so unmittelbar durchgängig standardisierbar sind wie Herstellungsabläufe. Beim Handling von Fracht und Waren – sofern es über den reinen Containertransport hinausgeht – sieht sich die Logistik Aufgaben gegenüber, die besonders hohe Ansprüche an die Intelligenz und Einsatzflexibilität von Robotiksystemen stellen. Dazu gehören etwa immer kürzere Bestell- und Lieferfristen, ein ständig wechselndes Warenangebot mit komplexen Individualisierungsanforderungen (spezielle Verpackungen, Bundles, Ausstattungsvarianten etc.) sowie zahllose Nicht-Standard-Verpackungen. Ob Pakete, Orangen, Autos oder Bücher, alle Arten von Waren und Gütern soll in kürzester Zeit, frisch und unversehrt so kostengünstig und umweltschonend wie möglich zum Kunden oder Bestimmungsort gebracht werden. Hinzu kommt, dass innerhalb der Logistikprozesse die Grenze zwischen speziell für den Einsatz von Automaten definierten („strukturierten“) Umgebungen und den unstrukturierten alltäglichen Arbeitsumgebungen überschritten werden muss: Roboter müssen in der Lage sein, etwa bei Be- und Entladevorgängen in engen Räumlichkeiten mit Menschen zusammenzuarbeiten, die sich unter Zeitdruck nicht immer exakt vorhersehbar verhalten. Die Kooperation mit „Kollege Roboter“ muss dabei reibungslos und für den Menschen ungefährlich ablaufen. Die Entwicklungsabteilungen in der Robotikindustrie und der großen Forschungsorganisationen arbeiten derzeit intensiv an Lösungen, die dieser Situation gerecht werden. Prof. Dr. Andreas Birk, Professor of Electrical Engineering in der Sektion Jacobs Robotics der Jacobs University in Bremen, sieht den derzeitigen Stand der Technik so: „Die Fähigkeiten der Roboter hinsichtlich Wahrnehmung und Weltmodellierung verbessern sich ständig, ihre Intelligenz wird schnell weiter wachsen. Sie erkennen und lokalisieren Gegenstände, die sie noch nie zuvor gesehen haben, und sie werden zunehmend lernen, ideale Greifpunkte oder abnehmbare Teile an Objekten zu ermitteln. Hier liegt für die Logistik ein enormes Potenzial zur Steigerung der Produktivität.“
Standardisierung als Aufgabe für die Logistik
Allerdings sehen Robotikexperten auch Bedarf an verstärkten Bemühungen auf Seiten der Logistiker, Prozesse zu standardisieren. Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Echelmeyer von der ESB Business School der Reutlingen Universität in Reutlingen, erläutert die „Hausaufgaben“ für die Unternehmen: „Je besser es gelingt, Logistikprozesse sauber zu standardisieren, desto wirksamer und kostengünstiger lässt sich die Robotik in der Logistik einführen. Ein wichtiges Beispiel für entsprechende Maßnahmen ist die Optimierung der Containerbeladung. Dazu gehören auch optimierte Verpackungen mit exakten Maßen und ohne Hohlräume, die beim Verladen zusammengequetscht werden. Es sind viele Einzelschritte, die zusammen die nötige Standardisierung ermöglichen, welche Voraussetzung für effiziente Automatisierung ist.“ Doch nicht alle Herausforderungen für die Integration von Robotik-Systemen in Logistikabläufe lassen sich über Standardisierungsmaßnahmen meistern. Gerade die steigenden Anforderungen an individualisierte Produkte bringen nicht beliebig standardisierbare Verpackungen und Transportprozesse mit sich. So ist etwa bereits das Umverpacken von produktreinen Sortimenten in nach individuellen Vorgaben zu gestaltende Mischpackungen eine Intralogistik-Aufgabe, die schnelle Anpassungen der Automaten erfordert. Hier sieht Dr. Axel Richter, Chairman der Deutschen Sektion des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), die Robotikforschung in der Pflicht: „Für alle über standardisierbare Prozesse hinausgehenden Arbeiten brauchen wir Roboter mit größter Flexibilität. Sie müssen sich nicht nur schnell neuen Anforderungen anpassen, sondern im wahrsten Sinn des Wortes lernfähig sein. Gemessen an dem Potenzial an prinzipiellen Automatisierungsoptionen stehen wir auf dem Sektor der künstlichen Intelligenz noch ziemlich am Anfang.“ Dies gilt sicher auch für die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Von der Ausführung von stets gleichen Abläufen müssen sich die elektronisch gesteuerten „verlängerten Gliedmaßen“ des Menschen zu echten Kollegen entwickeln, die „mitdenken“ und sich auf unerwartete neue Situationen einstellen können. Die derzeit verfügbaren Robotikprodukte sind, wie der folgende Überblick über typische Robotersysteme zeigt, bereits ein gutes Stück auf diesem Weg vorangekommen.
Teil 2: Auf dem Weg zu Kollege Roboter
Die modernen Vertreter der Roboterzunft haben sich in ihren Fähigkeiten weit von den ursprünglichen Industrierobotern entfernt. Sie bewegen sich mehr und mehr autonom und beginnen, menschliche Aktivitäten zu übernehmen oder zu imitieren –häufig sehen sie uns Menschen bereits ähnlich. Sie werden entweder aus der Ferne gesteuert oder handeln autonom, also unabhängig von direkter Kontrolle durch Menschen. Roboter sind in der Lage, Paletten aufzunehmen, Pakete gemäß Vorgaben von Bestellinformationen gemischt auf Paletten zu platzieren und sie auf LKWs zu verladen – sowie LKWs wieder zu entladen und die Paletten für neue Aufgaben bereit zu stellen. Verpacken, Handhaben, Palettieren und Depalettieren von Gütern, automatisches Stapeln, Kommissionieren, individuelles Zusammenstellen von Behältern, Trollys oder Paletten – für all diese Grundfunktionen logistischer Prozesse gibt es inzwischen marktreife Robotik-Produkte.
Das Regal schaut persönlich beim Packer vorbei
Hoch im Kurs stehen heute alle Arten von Robotern, die Waren zur Kommissionierung zu den Packern bringen, als Ersatz für elektronische Hilfen, die Kommissionierer auf optimalem Weg durch die Lagerhallen führen. Die Aufgabe, Waren zur Verpackungsstelle zu bringen, ist umso leichter zu lösen, je standardisierter die Güter sind. Bei stark heterogenen Produktgruppen, wie sie etwa Amazon im Programm hat, ist neue Flexibilität gefragt. Kein Wunder, dass ein Robotikprodukt für diesen Zweck gerade durch den weltweit bekanntesten Onlinehändler zu Ruhm und Ehren gekommen ist: Amazon kaufte den Roboterhersteller Kiva Systems, dessen kleine Lastenroboter jeweils die kompletten Regale mit den Waren auf optimierten Wegen zur Packstation fahren. Konkret läuft der Vorgang so ab: Die autonomen Fahrzeuge mit einer Tragkraft von 1,5 Tonnen heben gemäß Bestellliste die entsprechenden Regale an und fahren sie zum zuständigen Packer, der die georderten Waren aus dem Regal nimmt und in die wartenden Kartons packt. Er wird dabei durch Lichtsignale unterstützt, die anzeigen, welche Ware in welchen Karton gehört. Bei voller Auslastung kann dem Packer alle sechs Sekunden ein Gegenstand ausgehändigt werden. Beispiele für Anwender des genialen Systems sind neben Amazon auch Zappos, Toys R Us, GAP und Staples. Ein ähnliches mobiles Lagersystem entwickelte in Deutschland das Unternehmen Grenzebach. Dessen „G-Com“ setzt sich aus einem mobilen Lagersystem und einem fahrerlosen Transportsystem mit intelligenten Transportrobotern zusammen, die die Waren zur Kommissionierung an flexibel konfigurierbare Pick-Stationen bringen. Verschiedene Studien zur Effektivität solcher Systeme sprechen für sich: Um rund 70 Prozent lässt sich der Gesamtaufwand für das Kommissionieren auf diese Weise gegenüber dem üblichen Vorgehen mit dem Kommissionierwagen reduzieren. Rund ein Fünftel davon entfällt auf vereinfachte Orientierungs- und Suchaktivitäten der Mitarbeiter. Laufwege von zwanzig Kilometer und mehr gehören für die Mitarbeiter der Vergangenheit an.
Automatisiertes Entladen
Längst haben Roboter auch den Weg zur Containerentladungsstelle gefunden. Intelligente Paketroboter leeren Container automatisch und manipulieren Behälter mit losen Paketen. EinBeispiel hierfür ist seit 2007 im DHL Logistikzentrum in Essen in Dienst. Das Paketrobotersystem besteht aus Chassis, teleskopischem Förderband, 3D-Laser-Scanner und austauschbarem Greifsystem (beweglicher Arm mit Greifer). Der Roboter wird über dem Chassis positioniert, das mit dem Förderband verbunden ist. Dieses wird elektronisch ausgefahren und befördert Roboter und Chassis in den Container. Der 3D-Laser-Scanner untersucht zunächst die Situation, ein Computer analysiert gleichzeitig Größe und Struktur der Pakete und errechnet die optimale Entladesequenz. Der bewegliche Arm des Roboters verfügt zur Verbesserung der Beweglichkeit über sechs Gelenke und kann jeden Punkt im Container erreichen. Der Greifer selbst ist mit Saugnäpfen ausgerüstet, die mittels Vakuum die Pakete greifen und halten. Zudem sitzen am Greifer Sensoren, die die Greifkräfte optimieren und in schwierigen Situationen dem Computer zusätzliche Entscheidungshilfen für die Festlegung des Entladevorgangs liefern. Die entnommenen Pakete werden anschließend per Förderband abtransportiert. Mit Fortschreiten der Robotertechnologie wird das System weiter verbessert. So soll seine Arbeitsgeschwindigkeit erheblich gesteigert werden. Zudem wird der Roboter künftig mehrere Pakete gleichzeitig entladen und sich durch den Einsatz unterschiedlicher Greifmechanismen flexibel an individuelle Vorgaben anpassen können. Besonders vielversprechend für die Logistik: RFID-Technologie wird in Zukunft den Greifroboter auf digitalem Weg darüber informieren, wie der für das jeweils individuelle Paket optimale Handling-Prozess aussieht. Um die Beweglichkeit und Sensibilität der Greifwerkzeuge weiter zu steigern, entwickeln Techniker neue Konzepte, wie etwa das Unternehmen Shadow mit der „Dexterous Hand“ („Geschickte Hand“). Der der menschlichen Hand nachempfundene Greifapparat verfügt über zwanzig gesteuerte Freiheitsgrade, Positions- und Kraftsensoren sowie extrem empfindliche Berührungssensoren an den Fingerspitzen. Im Zusammenspiel mit entsprechenden Roboterarmen verspricht diese Technologie eine bisher unerreichte Präzision und Sorgfalt beim Handling von Waren aller Art. Durch die ausschließliche Verwendung von Industriestandard-Schnittstellen verringern sich die Implementierungskosten und –zeiten, so dass solche Lösungen für zahlreiche Logistikunternehmen attraktiv werden könnten – womöglich in Zusammenarbeit mit menschlichen Arbeitskräften, die ihre Kapazitäten an Kraft und Beweglichkeit mittels speziellen Exoskeletten (also mit Servomotoren angetriebenen Stützstrukturen) stark ausweiten.
Zoo verschiedener Robotikkonzepte
Autonomie ist eines der wichtigsten Merkmale, auf die die Robotertechnologie abzielt. Kleine Vertreter autonomer Fahrzeuge sind bereits in der Logistik im Dienst, beispielsweise das Autonomous Intelligent Vehicle (AiV) von YLOG Industry Solutions. Die Fahrzeuge unterschiedlicher Größe mit schwenkbaren Rädern werden in der Lager- und Transportlogistik eingesetzt. Durch ein On-board-Navigationssystem berechnen und finden die AiVs nach einem einfachen Fahrauftrag ihren Weg durch die Regale. Derzeit bewegen sich also bereits Lagerroboter autonom von Regal zu Regal, warum nicht auch gleich die Fahrzeuge und LKW selbst? Der sich selbst entladende LKW ist, glaubt man den Experten, nur noch eine Frage der Zeit. Andreas Birk: „Technologisch ist der autonom fahrende und sich be- und entladende LKW längst machbar. Entscheidend für den Aufwand ist natürlich die Art der Beladung. Aber prinzipiell ist ein solches Fahrzeug nicht mehr eine Frage der technologischen Möglichkeiten, sondern der Finanzierung.“ Das fahrerlose Fahrzeug existiert nicht mehr nur auf dem Reisbrett. Prototypen sind längst auf Teststrecken unterwegs, und rund 100 voll autonome, von General Motors und Segway entwickelte und gebaute PKW vom Typ EN-V17 sollen ab 2017 Cloud-basiert über die Straßen im englischen Milton Keynes rollen. Wegweisend sind auch die selbst-fahrenden und –navigierenden Erntemaschinen des Unternehmens Robotic Harvesting, die komplexe Ernte- und Transportaufgaben völlig ohne menschliches Eingreifen durchführen. Da ist der Schritt zu autonomen Fahrzeugen im Dienst des Warentransports nicht mehr weit. Wohin die Reise geht, lässt sich oft schon früh am Verhalten der großen Player ablesen. Und hier setzt Google ein sichtbares Zeichen: Im Zuge seiner Strategie, seine Rolle als Shopping Portal kräftig auszubauen, setzt der Internetriese auf ein ehrgeiziges Robotikprogramm. In der letzten Zeit hat Google unter der Regie des Android-Vaters Andy Rubin weltweit mehr als ein halbes Dutzend Unternehmen gekauft, die Robotertechnologie entwickeln. Darunter sind Spezialisten für den Bau humanoider Automaten, für Sensorik, High-Tech-Räder und Kamerasysteme sowie für Roboterarme, die sich besonders für das Be- und Entladen von LKWs eignen. Gleichzeitig mischt Google ganz vorne bei der Entwicklung autonomer Fahrzeuge mit. Auf der Basis von Toyota-Prius- und Lexus-PKW testet das Unternehmen bereits seit Jahren das Konzept des vollautomatischen Fahrzeugs. Zwei Studien ergaben, dass sich die autonomen PKW sicherer und ruhiger im Verkehr bewegen als menschengesteuerte Vergleichsfahrzeuge. Google plant offenbar, das Konzept des Google Shopping Express, das Belieferung noch am Bestelltag ermöglicht, mit hohem Automatisierungsgrad und unter Kombination der beiden Robotiktechnologien umzusetzen. Die entwickelten und erworbenen Technologien lassen das Bild eines selbst-fahrenden LKW entstehen, aus dem ein humanoider Roboter steigt, um ein Paket zuzustellen, das der LKW selbstständig präzise in seine Arme platziert … Konkurrent Amazon könnte dieses Modell noch toppen: Der Konzern hat angekündigt, ein Konzept zum Pakettransport per fliegender Drohne zu entwickeln. „Prime Air“, so der Name des Systems, soll aus autonomen Flugzeugen mit acht Propellern bestehen, die von Amazon-Logistikzentren abheben und die bestellte Ware innerhalb von 30 Minuten direkt vor die Haustür der Kunden liefern. Das maximal mögliche Paketgewicht soll bei 2,3 Kilogramm liegen, was nur von rund 14 Prozent der Sendungen überschritten wird und es Amazon ermöglichen würde, einen großen Teil der Bestellungen selbst zuzustellen. Man verspricht sich dadurch eine Senkung der Kosten für die Paketzustellung, besonders in der Fläche. Ähnliche Drohnentransportsystem-Varianten sind Matternet und Flying Donkey, mit denen die amerikanischen bzw. südafrikanischen Entwickler Güter aller Art besonders in strukturschwachen (Afrika) oder verkehrsinfarktgefährdeten Gebieten ausliefern wollen. Ganz anders stellt sich eine Schweizer Projektgruppe die Warenzustellung der Zukunft vor. Sie entwickelt das Konzept „Cargo sous terrain“, bei dem der Güterverkehr unter die Erde verlegt werden soll: in ein Tunnelsystem, das entlang der Ost-West-Achse die wichtigsten Logistikzentren der Schweiz verbindet. In den dreispurig ausgelegten Tunneln sollen unbemannte Fahrzeuge standardisierte Paletten befördern. Das System soll bis zu zwei Milliarden Franken kosten, aber die Pakete (da emissionsfrei und abseits von Staus und Sicherheitsrisiken) schneller und kostengünstiger zum Zielort bringen. Rund 70 Prozent des Schwerverkehrs auf der A1 zwischen Zürich und Bern könnten nach Ansicht der Projektleitung über „Cargo sous terrain“ abgewickelt werden. Europäische Forschergruppen wollen die künstliche Intelligenz auch aufs Wasser bringen: Sie entwickeln ein Konzept für autonome Frachtschiffe, namens „Munin“. Per künstlicher Intelligenz und Satellitennavigation könnten „Geisterschiffe“ ohne Besatzung große Strecken auf den Ozeanen zurücklegen und dabei selbstständig ihren Weg finden.
Entwicklungsschwerpunkte der Robotik
Zu den wichtigsten technologischen Entwicklungsfeldern im Zusammenhang mit Robotern für Logistikzwecke gehören das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine und die Fortentwicklung der RFID-Technologie zu einem Kommunikationsmittel zwischen Maschinen. Weltweit wird an Lösungen auf diesen Gebieten gearbeitet. Doch auch im Segment der Lagerlogistik könnten Wissenschaftler eine Revolution bewirken. So entwickeln beispielsweise Fraunhofer-Forscher Roboterschwärme mit künstlicher Intelligenz. Ihr Ziel: Reduzierung des Aufwands an komplexen statischen Förderbändern, auf denen Kisten aller Art unter hohem Aufwand von Rechnerkapazität auf langen Wegen ans Ziel rollen. Abgelöst werden sollen diese aufwändigen Lagerinfrastrukturen durch schnellere, kostengünstigere und effizientere Systeme aus Schwärmen von sich selbst steuernden Transportrobotern, die sich automatisch flexibel an den Bedarf anpassen. Die nötige Flexibilität und Autonomie sollen die Roboter durch ein der Bionik entlehntes Prinzip erhalten: Schwarmintelligenz. Darunter versteht man eine Form der Selbstorganisation von individuellen Systemen (wie Ameisen oder Roboter), so dass sie sich wie ein eigenständiger Superorganismus verhalten. Dieser Ansatz, der es erlaubt, Einzelwesen oder -maschinen mit relativ geringer Intelligenz durch gegenseitige Kommunikation zu einem intelligenten Gesamtsystem zu kombinieren, erweist sich als viel-versprechendes Konzept zur Erzeugung einer auf autonomen Transportfahrzeugen basierenden Lagerorganisation. Die Schwarmintelligenz, wie sie den Robotertransportsystemen mitgegeben werden soll, wird durch Anwendung eines mathematischen Algorithmus erzeugt, der auf der Erforschung von Ameisenstaaten beruht. Statt Informationen aus dem Zentralcomputer abzurufen, verhalten sich die Transportroboter wie selbstständige Lebewesen: Sie kommunizieren miteinander, übermitteln dabei ihre Positionen und vereinbaren Treffpunkte oder Zielorte. Auf diese Weise sind die Schwärme von Robotern in der Lage, selbstständig auf neue Situationen zu reagieren, ohne dass neue Planungsberechnungen nötig sind. Steigt der Bedarf etwa während einer Auftragsspitze an, lassen sich einfach zusätzliche Roboter in das System einsetzen, die sich sofort selbst organisieren und ihren Platz optimal einnehmen. Von Roboterschwärmen könnten als erste Online-Händler profitieren, die kundenindividuelle Bestellungen abwickeln müssen: Vom Online-Kunden eigenhändig konfigurierte Produktvarianten erfordern eine enorme Flexibilität bei Herstellung und Transport. Die selbstorganisierende Infrastruktur kann hierzu die adäquate Technik bereitstellen.
Teil 3: Robotik in der Logistik: Viel Nachholbedarf
Trotz des breiten Spektrums bereits vorhandener Robotertechnologie lässt die Akzeptanz des Konzepts nach Ansicht der Experten bei den Unternehmen der Logistikindustrie noch zu wünschen übrig. So beobachtet etwa Peter H. Voß, Geschäftsführer des Club of Logistics e.V.: „Viele Logistikbetriebe, die von der Robotik profitieren könnten, zeigen sich zurückhaltend, obwohl gerade beim Handling und Kommissionieren schon heute Roboter ausgesprochen gewinnbringend eingesetzt werden könnten. Das ist wohl auf ein Informationsdefizit zurückzuführen, hat aber vielleicht auch mit der in Deutschland leider verbreiteten Technikskepsis zu tun. Hier tut Aufklärungsarbeit Not, denn die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hängt sehr wohl stark davon ab, wie weit sie bereit sind, sich neuen Konzepten und Technologien zu öffnen.“ Ein Faktor bei der gesellschaftsweit spürbaren Zurückhaltung gegenüber der Robotik mag auch die Angst vor dem „Verlust der Arbeit“ sein: Roboter, so die Befürchtung, nehmen dem Menschen die Jobs weg. Manche Studien scheinen diese Ängste zu stützen. So glauben etwa die Analysten des Oxford Martin Program on the Impacts of Future Technology, dass innerhalb von zwanzig Jahren die Tätigkeiten von 45 Prozent der amerikanischen Arbeitskräfte von IT-gestützten Systemen wie Robotern übernommen werden könnten. Der Unternehmer Martin Ford gibt zu bedenken, dass die alte Unterscheidung zwischen dem Kapital, dass die Reichen zur Verfügung stellen, und der Arbeitskraft, die von den vielen Bürgern zum Broterwerb aufgebracht wird, nicht mehr besteht, wenn das Kapital in Form von Robotern und Computern auch gleich die Arbeitskraft beinhaltet. Dennoch ist wohl die Mehrheit der Experten davon überzeugt, dass uns die Arbeit nicht ausgeht. Adam Saunders, Professor an der Sauder School of Business im kanadischen British Columbia glaubt, dass auf längere Sicht ein neuer Unternehmergeist die Lösung des Jobproblems sein wird. Eine große Zahl von Bürgern werde auf vielen Ebenen Arbeitsplätze schaffen, an die niemand zuvor denken konnte. Das exponentielle Wachstum der Robotertechnologie werde gleichzeitig eine enorme Beschleunigung der menschlichen Innovationskraft mit sich bringen – und diese wieder neue Arbeitsplätze. Peter Voß hat daher wenig Verständnis für die hierzulande herrschende Ängstlichkeit: „Jede technologische Revolution hat auf der einen Seite Arbeitsplätze vernichtet, aber auf einer anderen Ebene sind neue entstanden. Dabei konnten wir oft nicht vorhersagen, woher plötzlich neue Jobs kommen würden, aber weiterer Fortschritt sorgte dafür, dass sie da waren als sie gebraucht wurden. Hätten frühere Generationen mit der gleichen Verzagtheit auf Innovation reagiert, würden wir noch heute in der Kutsche reisen. Meine Sorge ist, dass wir in Deutschland den Anschluss in dieser zukunftsentscheidenden Technologie verlieren und durch unser Bedenkenträgertum unseren Wohlstand gefährden.“ Inzwischen geht der Run auf die Robotik weiter. Das Marktforschungsinstitut Freedonia Group prophezeit, dass der Absatz von Robotern jährlich um elf Prozent auf 20,2 Mrd. Dollar im Jahr 2016 anwachsen wird – weit stärker als Industrieaktivität und Gesamtwirtschaft. Spitzenreiter werde China sein (mit knapp 17 Prozent Jahreszuwachs), dicht gefolgt von den USA (mehr als 15 Prozent). Klar scheint also nur eines: Der rasante Fortschritt der Robotik und ihr Einfluss auf die Wirtschaft sind nicht aufzuhalten. Der Geist wird nie wieder in die Flasche zurückkehren.
Nachgefragt: So sehen Logistikunternehmen die Robotik
Im Jahr 2010 führten das Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH (BIBA) an der Universität Bremen und die Jacobs University, Systems Management, in Kooperation mit der Zeitschrift Logistik für Unternehmen eine Online-Umfrage zum Stand des Einsatzes von Robotik in der Logistik durch. Befragt wurden Entscheider bei Logistik-Unternehmen, Technologieanbietern, Forschungsinstitutionen und sonstigen Marktteilnehmern zu Themen wie Marktentwicklung, Trendthemen, Barrieren, Herausforderungen und Risiken der Robotertechnologie im Bereich der Logistik.
Die Kernaussagen der Studie im Überblick Robotereinsatz: 36 % der Befragten gaben als primären Grund gegen den Robotereinsatz an, dass Roboter nicht wirtschaftlich betrieben werden können. Weitere Hemmnisse (je 23 %) bestehen in fehlenden Marktlösungen sowie nicht optimalen Rahmenbedingungen für einen Einsatz von Robotertechnologien, z. B. aufgrund der Sendungsstrukturen und unvollständig automatisierten Gesamtprozessen. Insgesamt setzen jedoch 59 % der Teilnehmer Roboterlösungen direkt ein bzw. bei Kunden/Forschungspartnern.
Automatisierung: 91 % der Befragten gaben an, dass die Automatisierung ein sehr wichtiger bzw. wichtiger Punkt ist. 67 % der Befragten planen, Roboterlösungen in den nächsten fünf Jahren einzusetzen bzw. sich dem Thema zu widmen, wobei aus Teilnehmersicht die optimale Umsetzung eine stufenweise Entwicklung bis hin zur vollständigen Automatisierung ist (54 %).
Barrieren: Als zentrale Barrieren, Herausforderungen und Risiken werden die Wirtschaftlichkeit, das Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie die Flexibilität beim Einsatz von Roboterlösungen gesehen. Als Gründe wurden auch fehlendes Wissen oder ungeeignete Stückgüter/Einheiten genannt.
Einsatzorte: Als primäre Einsatzorte von Robotern werden die Be- und Entladung und das Kommissionieren genannt. Ein Drittel der Befragten sieht die Adaptionsfähigkeit, d. h. die Anpassung an verschiedene Rahmenbedingungen, als wesentlichen Faktor für den Robotereinsatz an.
Einsatzpotenziale: Drei Potenziale werden im Wesentlichen für den Einsatz von Roboterlösungen in der Logistik gesehen: 1. Verbesserung der Prozessqualität; 2. In Kombination mit weiteren Technologien (z. B. RFID) ergeben sich völlig neue Möglichkeiten der Prozessoptimierung; 3. Warenflüsse können effizienter geplant werden.
Quelle: www.club-of-logistics.de
Quelle: Logistik für Unternehmen 10/2010
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