„Industrie 4.0“ – zu heiß zum Verfeuern: IT & Business präsentiert ERP für die Praxis / Interview mit Prof. Norbert Gronau
Arbeiten, Gesundheit, das Büro und sogar das Essen – zunehmend mehr „Disziplinen“ gibt es in der Version 4.0. Mit ihnen sind viele Buzzwords verbunden. Für die Industrie gilt das besonders. Doch langfristig wettbewerbsfähig bleibt nur, wer neueste wissenschaftliche Erkenntnisse erfolgreich in sein tägliches Business überführen kann. Dafür bündelt das Center for Enterprise Research (CER) der Universität Potsdam Technologie- und Wissenstransfer aus der Forschung für die Praxis. Am 5. Oktober, 15.30 Uhr, vergibt es im Fachforum „Planung, Produktion & Personal“ auf der IT & Business in Stuttgart zum zehnten Mal Preise für die besten Lösungen für Enterprise Resource Planning (ERP). Vorab hat Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr.-Ing. Norbert Gronau als Initiator des Contests und wissenschaftlicher Leiter des CER, in einem Interview aktuelle Herausforderungen für Unternehmen hinsichtlich der zentralen Steuerung ihrer Unternehmensressourcen beleuchtet.
Herr Prof. Gronau, voriges Jahr haben Sie bei der Preisverleihung zum „ERP-System des Jahres“ den ERP-Markt mit einer großen Familie verglichen. In der gab es „Mitglieder“, die lange dabei sind, ebenso wie Bestager und Newcomer, engagierte „Chartstürmer“, solche, die „null Bock“ haben, und schwarze Schafe. Das klingt sehr nach Diversität und danach, dass Lösungen schwer vergleichbar sind. Wie finden Unternehmen angesichts dessen den für sie richtigen Anbieter?
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die meisten ERP-Systeme, die in Deutschland angeboten werden, einen sehr hohen Funktionsumfang aufweisen und die Anbieter meist echte Spezialisten für ihre Zielbranchen beschäftigen. Allerdings möchte der Vertrieb immer jedes Projekt gewinnen, auch das, wofür sein Produkt nicht so gut geeignet ist. Ich kann vor einer ERP-Auswahl in Eigenregie nur abraten, da passieren immer noch unglaublich viele Fehler. Neulich erzählte mir ein Geschäftsführer, dass er einen Anbieter abgelehnt hatte, weil die Buchhaltung nicht vorgeführt wurde. Es handelte sich jedoch um den absoluten Spezialisten in der Branche – und der kann sogar Buchhaltung. Also: externe Hilfe zu Rate ziehen!
Derzeit beschäftigen sich viele Unternehmen und Experten intensiv mit Industrie 4.0. Das spiegelt sich auf der IT & Business 2016 bei den Ausstellern, den Showcases und in der Open Conference wider. Welche Bedeutung messen Sie Industrie 4.0 bei?
Industrie 4.0 verstehe ich als den Einsatz cyber-physischer Systeme, die über das Internet miteinander verbunden sind und so dezentral Entscheidungen treffen können, die vorher zentral geplant werden mussten. Diese Entwicklung hat eine sehr große Bedeutung, die sich allerdings nur langfristig erschließen lässt. Die Gefahr besteht, dass jetzt alle behaupten „Industrie 4.0, das können wir“, die Anwender dann feststellen, das stimmt gar nicht und der Begriff dann verbrannt wird. In unserem Potsdamer Anwendungszentrum Industrie 4.0 bringen wir Anbieter und Fabrik zusammen und man sieht, was diese Anbieter, z.B. ams.Solution AG (Stand 1C13, CSB System, mpdv oder asseco Solutions AG (Stand 1C31), in punkto Industrie 4.0 wirklich können.
Welchen Einfluss hat Industrie 4.0 auf das Kernstück der Unternehmenssoftware, die ERP-Systeme?
Es werden weitere und umfassendere Anforderungen gestellt, z.B. an das Datenhandling, an Planungsalgorithmen und Datenstrukturen. Man muss sich aber zunächst die Frage stellen, ob das nur ein ERP-Thema ist. Sobald es in den Bereich Manufacturing Analytics hineingeht, sind ERP-Systeme zwar Datenlieferant, aber die Analysen machen andere Systeme.
Kann und muss eine Business-Applikation wie ein ERP-System überhaupt mit der rasanten digitalen Entwicklung Schritt halten? Inwieweit sind funktionierende und sichere Industrie-4.0-Funktionalitäten schon Bestandteil der Software?
Die ERP-Anbieter haben immer wieder gezeigt, dass sie aktuelle Entwicklungen aufgreifen und umsetzen können, z.B. mit der Integration von Social-Media-Funktionen bei infor. Allerdings muss die zugrunde liegende Technologie immer wieder erneuert werden, da gibt es einige Anbieter, die sich schwer tun. Wir beraten immer mal wieder bei der Entwicklung neuer ERP-Generationen und mein Eindruck ist, dass die ERP-Anbieter hier sehr gut mithalten.
Im Showcase „Smart Factory“ auf der IT & Business demonstrieren erstmals vier Anbieter aus den Bereichen Enterprise Resource Planning, Enterprise Content Management, Enterprise Information Management und Customer Relationship Management einen kompletten Prozess innerhalb einer fiktiven Fabrik. Welches sollte aus Ihrer Sicht in einem solchen vernetzten Gebilde das führende System sein? Lässt sich das überhaupt pauschal sagen?
Nun, für das Demo-Szenario haben die Anbieter sicherlich eine Entscheidung getroffen. Diese wird nicht ohne Weiteres zu verallgemeinern sein. Alle vier genannten Systeme sind heute notwendig, allerdings werden die buchhalterischen Informationen nach wie vor nur im ERP gehalten. Das schließt aber nicht aus, dass für einzelne Geschäftsprozesse das CRM das führende System ist.
Quelle: www.itandbusiness.de
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