Logistik als Key Factor: Die Lehren der KriseSieben Sofortmaßnahmen - Herausforderungen für produzierende Unternehmen
In einer ohnehin schon angespannten Weltwirtschaftslage tritt eine globale Krise auf, die Produktionen und Lieferketten zum Erliegen zu bringen droht: Corona-ähnliche Szenarien kannte man bislang aus simulierten Stresstests. Seit März ist der Test Realität und gibt produzierenden Unternehmen Aufschluss über ihre Stärken und Schwachstellen. Da die Pandemie noch nicht ausgestanden ist und es in Zukunft zu vergleichbaren Krisen kommen könnte, ist es an der Zeit, Maßnahmenkataloge abzuleiten, um krisenbedingte Produktions- und Lieferausfälle zu vermeiden.
Die COVID-19-Pandemie stellt Deutschlands Schlüsselindustrien auf die Probe: Wie werden der Maschinenbau, die Automobilindustrie und Co. in Zukunft krisenfester? Viele Stellschrauben lassen sich in der Logistik verorten. Hier können Automatisierung und Digitalisierung entscheidend zur Stabilität und Widerstandsfähigkeit produzierender Unternehmen beitragen.
Corona zeigt Handlungsbedarf in der Logistik auf
Zwangsläufig treibt die Corona-Pandemie die digitale Transformation voran, insbesondere in den „Key Industries“, also jenen Industrien, die aufgrund ihrer Innovationskraft, Größe und Verflechtungen mit anderen Wirtschaftszweigen von besonders großer volkswirtschaftlicher Bedeutung sind. Dabei steht die Logistik im Fokus: Obgleich viele Unternehmen ihre Produktionen heruntergefahren haben – die Logistik muss Lieferketten und Warenströme aufrechterhalten. Doch während neue Arbeitsmodelle wie Homeoffice und Virtual Meetings in anderen Bereichen ihren Siegeszug angetreten haben, tut sich die Supply Chain nach wie vor schwer mit der Digitalisierung. Zu kurz ist die Zeit, um alle Kapazitäten und Bestände auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Das wiegt umso schwerer, da sich das Konsumverhalten verändert hat, was der zeitweise Ausverkauf zahlreicher Waren wie Toilettenpapier, Einweghandschuhen und Desinfektionsmittel deutlichgemacht hat. Die Rädchen von Order, Planung, Produktion und Lieferung griffen nicht mehr ineinander.
Die Herausforderung: sich frühzeitig auf neue Situationen einstellen
Folglich müssen viele Unternehmen die Prozesse entlang ihrer Lieferketten optimieren – vorausschauender und digitaler muss die Supply Chain gestaltet werden. Corona hat aufgedeckt, dass die digitale Transformation noch immer am Anfang steht, vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Die Gefahr ist daher, dass die großen Unternehmen ihre Marktanteile weiter ausbauen, während die anderen auf der Strecke bleiben. Denn die „Big Player“ verfügen über bessere Netzwerke und sind bei der Digitalisierung weiter fortgeschritten. Daraus zu schließen, dass KMU in Krisensituationen zwangsläufig schlechter abschneiden als Konzerne, wäre fatal. Denn der entscheidende Faktor ist nicht etwa die Unternehmensgröße, sondern Zeit: Es kommt darauf an, sich möglichst schnell auf sich verändernde Verhältnisse einstellen zu können. Für viele, vor allem mittelständische Unternehmen bedeutet das: modernisieren, sich flexibler machen und damit stabilisieren. Dabei sollten insbesondere die digitalen und logistischen Infrastrukturen im Fokus stehen, die für die Schlüsselindustrien unverzichtbar sind.
Sieben Sofortmaßnahmen
Das bedeutet jedoch nicht, dass es Unternehmen an Handlungsoptionen fehlt, ehe die Politik die infrastrukturellen Voraussetzungen für eine flächendeckende digitale Transformation schafft. Im Gegenteil, KMU können und sollten einen raschen Wandel hin zu einem stärker automatisierten und digitalisierten Betrieb vorantreiben. Darüber hinaus gilt es, die Struktur der unternehmenseigenen Logistik zu hinterfragen und zu optimieren. Dabei lohnt es, sich mit siebenmöglichen Szenarien auseinanderzusetzen.
1. Lagerautomatisierung forcieren
Das Lager muss wegen Corona-Infektionen geschlossen werden – und nun? Viele Unternehmen müssen sich mit diesem Szenario überhaupt nicht beschäftigen, denn ihre Logistikzentren sind vollautomatisiert, was sie effizienter, flexibler und krisenresistenter macht. Logistiker sollten die aktuelle Situation daher zum Anlass nehmen, den Automatisierungsgrad ihrer Lager sukzessive zu erhöhen. Das langfristige Ziel muss Vollautomatisierung heißen. In Japan ist das bereits vielerorts Realität, so etwa beim Modekonzern Fast Retailing, der weltweit alle seine Lager mit Robotern und künstlicher Intelligenz ausstatten möchte und das im Großraum Tokyo bereits umgesetzt hat.
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2. Lagerbestände erhöhen
Vor der Pandemie stellte Just-in-time das Ideal in Sachen Warenanlieferung dar. Der Vorteil: Durch die punktgenaue Lieferung an die Montagelinie können produzierende Unternehmen ihre Lagerhaltungskosten minimieren, da keine Teile eingelagert werden müssen. Sobald sich Lieferungen verzögern oder ganz ausfallen, wie in den letzten Monaten vielfach geschehen, hat das Nichtvorhandensein von Lagerbeständen jedoch Produktionsausfälle zur Folge. Um die Ausfallgefahr der Fertigung in Zukunft zu verringern, sollten Unternehmen wichtige und häufig verwendete Bauteile stärker bevorraten.
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3. Reshoring bzw. Onshoring der Produktion
Während sich die globalen Lieferketten langsam erholen, bewerten die Hersteller ihre Prozesse neu. Viele erwägen ein Reshoring, also eine Verlagerung von Teilen der Produktion zurück ins Heimatland. Das gilt nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern beispielsweise auch für den Maschinenbau, den die Folgen der Pandemie stark getroffen haben. Darüber hinaus werden viele Unternehmen ihre Produktionskapazitäten in wichtigen Zielmärkten ausbauen, um Ausfälle aufgrund von Lieferkettenlücken zu vermeiden und die Versorgung ihrer Kunden zu gewährleisten. Das McKinsey Global Institute (MGI) prognostiziert in einer aktuellen Studie (McKinsey Global Institute (MGI): Risk, resilience and rebalancing in global value chains), dass innerhalb der nächsten fünf Jahre bis zu einem Viertel der weltweiten Lieferketten in andere Länder verlagert werden könnten.
4. Lagerkapazitäten skalieren
Für einen Teil der Logistik bewirkte Corona eine völlige Überlastung, während die Nachfrage an anderer Stelle komplett einbrach. Das hatte zur Folge, dass einige Anbieter auf ihren Waren sitzen blieben, während andere nicht genügend vorrätig hatten. Um Out-of-Stock-Situationen und Überkapazitäten zu vermeiden, braucht es intelligente IT-Systeme, die ein Demand Forecasting ermöglichen. Viele Unternehmen skalieren ihre Lagerkapazitäten bereits auf diese Weise, alle anderen sollten die Unsicherheiten der letzten Monate zum Anlass nehmen, ihre Bedarfsplanung auf ein höheres Level zu heben.
5. Kleine, dezentrale Lagerstandorte (Hubs)
Riesige Fulfillment Center sind out. Stattdessen geht der Trend vermehrt zu mehreren kleinen Satelliten-Distributionszentren, sogenannten Hubs oder Micro Hubs in Kundennähe. Die Vorteile liegen auf der Hand:, eine stabilere Lieferkette, größere Schnelligkeit sowie Flexibilität bei Lieferschwankungen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist Retourenhandling, das für Anbieter häufig einen erheblichen Kostenpunkt darstellt: Bei einem aktuellen Projekt der Wirtschaftsförderung Mönchengladbach (WFMG), dem sogenannten „Fashion Micro Hub“, können Kunden die zuvor online bestellte Kleidung vor Ort abholen sowie anprobieren und direkt zurückgehen lassen, falls sie ihnen nicht passt oder gefällt.
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6. Fokus auf den E-Commerce
Glaubt man einem im Sommer 2020 auf Forbes (Forbes: COVID-19 accelerated e-commerce growth ‘4 to 6 years’) veröffentlichten Bericht von Adobe, beschleunigt Corona das Wachstum des E-Commerce um vier bis sechs Jahre. Der enorme Bedeutungsgewinn dieses Sektors stellt die Logistik vor große Aufgaben: Lager- und Distributionszentren müssen entsprechend ausgebaut und auf eine automatisierte Einzelstück-Kommissionierung ausgerichtet werden. Ein schnelles und flexibles Single Order Management, insbesondere in Form einer vollautomatisierten Split-Case-Kommissionierung, wird in Zukunft in vielen Branchen zur Kernkompetenz in der Intralogistik.
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7. Energieeffizienz
Wer diesen Aspekt in seine Planung einbezieht, wird bereits mittelfristig Erfolge feststellen. Es lohnt sich ein Blick auf den Onlineriesen Amazon, der weltweit bereits 50 seiner Logistikzentren mit Solarzellen ausgestattet hat – vor rund fünf Jahren waren es noch null. Es können aber auch an anderen Stellen Ressourcen eingespart werden, beispielsweise durch die Nutzung von Mehrweg-Transportlösungen: Wer Einwegverpackungen durch langlebige und recycelbare Mehrwegboxen ersetzt, die mitunter zehn Jahre im Einsatz sind, spart Unmengen an Verpackungsmüll und Entsorgungskosten ein.
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Quelle: www.daifukueurope.com
Autor: Markus Becker, Business Development Manager bei DAIFUKU